Blick vom Kapellengarten zum Staufener Schlossberg
Ausschnitt aus dem Apostelcredo.
Die St.-Magdalenen-Kapelle war die Kapelle des auf dem benachbarten Hof stehenden Leprosenhauses (heute Bauhof der Stadt Staufen). Das Leprosenhaus war eine karitative Einrichtung, in der man Menschen versorgte, die an der Lepra litten.
[Die Lepra] Die Lepra – eine von Bakterien ausgelöste, an sich nur schwach ansteckende Infektionserkrankung, deren Ursachen vor allem in mangelnder Hygiene und Unterernährung zu suchen sind – war eine der Geißeln des Mittelalters. Wegen des abstoßenden Äußeren der Erkrankten verlegte man sie in Einrichtungen außerhalb der Städte und sonderte sie von den Gesunden ab. Zu den letzten Lepraepidemien kam es in Deutschland im 16. Jahrhundert, während die Krankheit in der Folgezeit selten wurde.
Lepra wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Aussatz (wegen des Aussetzens der Kranken außerhalb der Städte) oder als Miselsucht (von lateinisch misellus = elend, unglücklich) bezeichnet. Die Kranken nannte man Aussätzige, Sieche oder – mit einem Wort unklarer Herkunft – „gute Leute“. Die Einrichtung selbst wurde dementsprechend als Misel-, Siechen- oder Gutleuthaus bezeichnet. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts kam daneben die Bezeichnung Leprosenhaus oder Leprosorium auf.
[Das Staufener Leprosenhaus] Das Staufener Leprosenhaus ist seit dem frühen 14. Jahrhundert nachweisbar, allerdings liegen für die Frühzeit lediglich zwei beiläufige Erwähnungen vor. Es scheint im 16. Jahrhundert, wohl im Zusammenhang mit den genannten Epidemien, einen neuerlichen Aufschwung genommen zu haben. Mehrere Stiftungen flossen ihm zu, aus deren Mitteln den Kranken Lebensmittel, Wein und Brennholz beschafft werden konnten. Wegen des starken Rückgangs der Krankheit stand das Haus jedoch seit 1720 leer.
Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Haus nochmals kurzzeitig von drei an Lepra erkrankten Personen bewohnt, aber mit deren Tod 1756/58 verschwand die Lepra endgültig aus Staufen. 1786 verkaufte man das Haus an den Landwirt Josef Rinderle, der es abriss und 1791 durch das bis heute bestehende Wohnhaus ersetzte. Die Stiftungsgelder wurden im Wesentlichen auf das Spital übertragen. Formal bestand der Fonds wegen einiger Sonderaufgaben, wie zum Beispiel dem Bauunterhalt der St.-Gotthard-Kapelle, noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts weiter.
Bild oben: Gemälder der hl. Magdalena über dem Eingang
[Die Kapelle des Leprosenhauses] Die Toten des Gutleuthauses durften nicht auf dem städtischen Friedhof beigesetzt werden, sondern fanden ihre letzte Ruhestätte auf einem eigenen Friedhof beim Haus. An dieser Stelle errichtete man eine Kapelle, über deren Alter wir keinerlei Anhaltspunkte haben. In den 1580er Jahren jedenfalls war sie gründlich baufällig geworden, so dass man einen Neubau in Auftrag gab. Lediglich die Fundamente der alten Kapelle blieben bis in eine Höhe von etwa einem Meter erhalten. 1586 wurden die Arbeiten abgeschlossen, wie das Baudatum über der Eingangstür ausweist. Die Kapelle hat einen rechteckigen Grundriss mit einem steilen Giebeldach. Im Inneren erhält der Raum Licht von zwei großen Rundbogenfenstern an der Seite sowie einem Doppelfenster hinter dem Altar.
Bei einer Renovierung in der Barockzeit wurde der Kapelle eine etwas kleinere Eingangshalle vorgesetzt. Wohltuend gliedert sie die Kapellenfassade und verleiht ihr Dynamik. Im Inneren wurde der Kirchenraum mit einer Stuckdecke aufgewertet und die Kirchenfenster an den Seiten erweitert. Außerdem erhielt die Kapelle eine neue Ausmalung. Diese Arbeiten konnten dendrochronologisch auf das Jahr 1721 datiert werden. 1729 stifteten die Staufener einen Hochaltar, der ein Bild der Heiligen Maria Magdalena zeigte und zwei Nebenaltäre zu Ehren des Heiligen Nepomuk und des Seligen (später Heiligen) Fidelis. Die Arbeiten wurden mit der Weihe des renovierten Gebäudes durch den Konstanzer Weihbischof Franz Johann Anton von Sirgenstein 1738 abgeschlossen.
[Das Gemälde über dem Eingang] Wie der Hochaltar ist auch die Kapelle selbst der Maria Magdalena geweiht. Ihr Gemälde ist es, das der Kapellenbesucher außen in der kleinen Eingangshalle über der Tür sieht. Die von einem unbekannten Meister ausgeführte Darstellung stammt aus der Zeit der Kapellenrenovierung in den 1720er/30er Jahren, wie durch eine heute verlorene Stifterinschrift nachgewiesen war. Maria Magdalena ist neben der Gottesmutter Maria die herausragende Frauengestalt der Evangelien; sie war die erste, die an Ostern das leere Grab entdeckte, als sie Jesu Leichnam salben wollte. In der katholischen Tradition wird sie gleichgesetzt mit jener namenlosen Sünderin des
Lukas-Evangeliums, der Jesus im Haus von Simon dem Aussätzigen begegnete. Sie soll ihm dort die Füße gewaschen, mit ihren Haaren getrocknet und anschließend gesalbt haben. Der Legende nach soll Magdalena nach Christi Tod nach Südfrankreich geflohen sein und dort als Büßerin in einer Höhle gelebt haben.
Es ist dieser Lebensabschnitt Maria Magdalenas, den das Gemälde zeigt. Begleitet von zwei Putten kniet Magdalena in einer von lockerem Wald bedeckten Hügellandschaft vor einem Kruzifix und studiert die Schrift. Ihr langes Haar ist offen und vor ihr steht eine Salbenbüchse als Anspielung auf die Erzählung aus dem Lukas-Evangelium und die Ostergeschichte. Zeichen der Buße sind der Totenschädel in ihrer rechten, vor allem aber die Geißel in ihrer linken Hand, mit der Magdalena ihren entblößten Oberkörper züchtigt. Links ist die Höhle zu sehen, in der die Heilige lebte. Als originelle Zutat des Malers (oder aufgrund einer Fehlinterpretation bei der Restaurierung?) kriecht aus dieser ein geflügelter Drache mit gefletschten Zähnen, vielleicht ein Sinnbild für die Anfechtungen durch die Sünde.
Die gleiche Darstellung der büßenden Maria Magdalena zeigt auch der Altar, der sich heute in der St.-Gotthard-Kapelle befindet. Hier kniet die tränenüberströmte Heilige – wiederum gekennzeichnet durch langes, offenes Haar, Schädel, Salbenbüchse und Kruzifix – in einer Höhle und wird von drei Putten bekrönt. Die Gebeine Magdalenas sollen im Frühmittelalter in das burgundische Vézelay überführt worden sein, das sich zu einem bedeutenden Wallfahrtsort entwickelte. Darauf verweist vielleicht die Kirche im Hintergrund, deren Lage auf einem Hügel und deren Gestalt an Vézelay erinnern.
Außenwand bei der Renovierung 1960/61 .
St.-Magdalenen-Altar von 1729. Heute in der St.Gotthard-Kapelle.
Stiftervild von Balthasar Beisel, 1586.
[Restaurierung der Gemälde im Innenraum] 1804/27 wurden Friedhof und Kapelle wie das Leprosenhaus von der Familie Rinderle gekauft und aufgelassen. Der Altar kam in die St.-Sebastian-Kapelle auf dem Friedhof und Ende des 19. Jahrhunderts in die St.-Gotthard-Kapelle. Viele Jahrzehnte diente die Kapelle als Waschhaus, Schnapsbrennerei und Lagerraum. 1955 entdeckte Bürgermeister Dr. Eckart Ulmann unter der Putzschicht der Kapelle Reste von Wandmalereien und drängte in der Folgezeit auf eine Renovierung. Zu Beginn der 1960er Jahre konnte diese – von der Familie Rinderle unterstützt – durchgeführt werden. Bei der Entfernung der Destilleriegeräte entdeckte man an der Rückseite das zugemauerte Doppelfenster und öffnete dieses wieder. Auch die Vorhalle der Kapelle musste fast vollständig neu aufgemauert werden. Es wurde ein neuer Altar eingebaut und die Kapelle zum Abschluss der Arbeiten 1961 neu geweiht.
Die Restaurierung der durch Feuchtigkeit und Vernachlässigung schwer beschädigten Malereien übernahm das Restauratorenehepaar Adelheid und Jürgen Brodwolf (bei Jürgen Brodwohl handelt es sich um den bekannten Kanderner Künstler). Bei den Bildern konnten jene aus den 1720er Jahren wegen des engen Verbunds mit jüngeren Putzschichten nicht gerettet werden, mit Ausnahme zweier schlecht erhaltener und daher schwierig zu deutender Gemälde links und rechts des Altars. Offenbar ist links der hl. Nepomuk dargestellt, der zweite Altarpatron, während rechts in der Gestalt des mit einem Strahlenkranz als Heiligen gekennzeichneten Mönches, der zu zwei Personen predigt (?), vielleicht der hl. Fidelis zu sehen ist, der dritte Altarpatron der Kapelle. Die Gemälde wurden, wie Inschriften über ihnen ausweisen, von den Staufener Bürgern Johann Adam Koch, damals Mesner der Pfarrkirche, und Jakob Mayer gestiftet.
Wiederhergestellt wurden dagegen die unter den barocken Malereien liegenden Gemälde, die in die Zeit des Neubaus von 1586 zu weisen sind. Links neben der Eingangstür zeigt ein großes Bild den Gutleuthauspfleger Balthasar Beisel knieend vor dem Kreuz. Beisel, zeittypisch mit schwarzem Mantel und Halskrause gekleidet, weist sich in der über dem Bild stehenden, grammatikalisch fehlerhaften Inschrift mit einigem Selbstbewusstsein als der Erbauer der Kapelle im Jahr 1586 aus: „Ich heis Baltzer Beisel fir war/ der wass Pfleger in diesem Jarr / der erbauwett mich in
diser Zeitt.“
An den Längswänden ist dagegen ein Zyklus von Apostelfiguren zu erkennen, die fast in Lebensgröße in kräftigen Farben gemalt sind. Gemalte Architekturelemente im Stil der Renaissance fassen die Bilder ein. Leider war der untere Teil der Malereien aufgrund der vom Schlossberg auf die Kapelle drückenden Feuchtigkeit nicht mehr zu retten. Aber auch die erhaltenen Bildreste sind durch die Überputzung und Übermalung in der Barockzeit stark beschädigt, da man für die bessere Haftung des neuen Putzes die alten Gemälde aufpickelte. Der Apostelzyklus ist ein in Spätmittelalter und Früher Neuzeit weit verbreitetes Motiv, das man als „Apostelcredo“ bezeichnet. Jedem Apostel – der durch sein Attribut gekennzeichnet ist – wird dabei nach einer strengen Regel eine Phrase aus dem Glaubensbekenntnis (Credo) in deutscher Sprache zugeordnet. Das Credo beginnt links vom Altar mit einem Jesusbildnis und den ersten Worten des Glaubensbekenntnisses, die dem hl. Petrus zugewiesen sind, und führt dann entgegen dem Uhrzeigersinn durch die Kapelle bis zum hl. Matthias auf der gegenüberliegenden Seite.
Die Gemälde sind nicht datiert, wurden von den Restauratoren jedoch in die Zeit des Kapellenneubaus in den 1580er Jahren datiert, was in Verbindung mit dem Bild von Beisel naheliegend erscheint. Auf die Staufener machten sie Eindruck: nach dem Dreißigjährigen Krieg ließen einige Stifter ein weiteres Apostelcredo in die St.-Sebastian-Kapelle auf dem Friedhof malen. Diese auf das Jahr 1652 datierten Malereien sind leider nur in einer Kopie aus dem 19. Jahrhundert erhalten, so dass sich nicht beurteilen lässt, ob nicht doch der gleiche Künstler die Gemälde ausgeführt hat und damit die Gemälde in der St.-Magdalenen-Kapelle in diese spätere Zeit zu datieren wären.
[Neuerliche Renovierung Ende der 1990er Jahre] 1996 verkaufte die Familie Rinderle unter Vermittlung von Maria-Luise Ubeländer das Anwesen an den Arbeitskreis Staufener Stadtbild, der eine neuerliche Renovierung in Gang setzte. Bei dieser wurde vordringlich eine Drainage verlegt, die das jahrhundertealte Problem des vom Schlossberg auf die Kapelle drückenden Wassers behebt. Bei den dafür erforderlichen Grabungen entdeckte man überraschend etwa einen Meter von der Kapellenrückwand entfernt eine mittelalterliche Stützmauer, die freigelegt wurde. Außerdem stieß man auf menschliche Skelettreste, die allerdings nicht datiert werden konnten. Eine aufwändige Sanierung erforderte das der Witterung ausgesetzte Magdalenengemälde über dem Eingang. Sämtliche Anstriche und die Dachdeckung wurden erneuert. Wiederum ließ man die Kapelle 1999 nach der Renovierung neu weihen; den Altar ziert seitdem ein modernes Kreuz.
Die Pflege des Gartens – der ehemalige Friedhof des Leprosenhauses – an der Kapelle übernahm die Bürgerinitiative Umweltschutz / BUND Staufen, die dort nach dem Vorbild von Klöstern einen Kräutergarten anlegte. Die neu eingeführte Tradition eines Gottesdienstes am Magdalenentag (22. Juli) konnte nicht gehalten werden, doch führt die BI Umweltschutz in dem Garten seit kurzem regelmäßig Veranstaltungen zum Magdalenentag durch.
Die St.-Magdalenen-Kapelle liegt an der nördlichen Ortseinfahrt aus Richtung Bad Krozingen und Kirchhofen in der Krozinger Straße (gegenüber der Tankstelle). Sie steht privaten Besuchern und Gruppen zur Besichtigung nach Voranmeldung offen. Bitte wenden Sie sich an den Arbeitskreis Staufener Stadtbild e. V.:
Herrn Helmut Bühler, Auf dem Rempart 8a, 79219 Staufen
Telefon 07633 / 981765
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